Farewell

Der letzte Tag. Das letzte Mal. Ich versuche alles in mich aufzunehmen, mir Details zu merken, Gerüche, Geräusche. Ich habe diesen Tag nicht hergesehnt wie viele meiner Kommilitonen. Mir bot das Studium Sicherheit und ein Alibi nicht wieder mutig in die Welt hinausziehen zu müssen. Solange ich hier eine Aufgabe zu erledigen hatte, konnte ich Träume auch Träume sein lassen. So lange war mein Geschwätz von allem was ich in der Zukunft erreichen will eben genau das: Geschwätz. Reden lässt es sich leicht, träumen noch besser.

 

Am liebsten würde ich alles fotografieren mit den Augen, jedes Blinzeln ein Schnappschuss. Aber ich weiß, dass all die kleinen mir gerade wichtig scheinenden Details schon bald aus meinem Erinnerungsalbum verschwunden sein werden. Anne und Petra sitzen mir gegenüber und unterhalten sich angeregt über Apps. Ich habe keine Ahnung von Apps, mein Handy stammt aus der Steinzeit. Annes Exmatrikulation liegt auf dem Tisch während sie noch ein letztes Mal eines dieser meist ungenießbaren Mittagsessen hinunter schlingt. Ich kann nicht aufhören daran zu denken, dass ich hier nie wieder essen oder sitzen oder lachen oder arbeiten oder meckern werde. Ich kann nur daran denken, dass es wieder ein letztes Mal ist. Seit Wochen verabschiede ich mich von Leuten oder bereite Abschiede vor. Die Abschlussarbeit ist abgegeben, es ist nichts mehr zu tun. Wir reden noch, diskutieren über Männer, was auch sonst, Anne kauft sich noch eine Tasse mit dem Logo der Uni und wir gehen. Einfach so. Nach dreieinhalb Jahren. Ich bin nicht gut im Abschied nehmen, also reden wir weiter über Belangloses. Petra und ich gehen gemeinsam Richtung Parkplatz und ich drehe mich noch einmal um. Alles ist getan. Selbst die Bücherstapel, die sich in den letzten Monaten kontinuierlich auf dem Schreibtisch stapelten und unermüdlich an Arbeit erinnerten, sind abgegeben. Formalitäten erledigt. Aus. Ich bin raus aus der einen Welt und noch nicht in der anderen angekommen. Irgendwie Nirvana.

 

Petra hebt ihr Weißweinglas, ich mein Rotweinglas. Es ist 16 Uhr. „Auf uns“ sagt sie „unglaublich dass es vorbei ist“. „Auf uns“ proste ich ihr zu. In unserer Studentenkneipe sehen alle locker beschäftigt aus. Ich sehe mich um, immer noch wehmütig und frage mich, ob ich je wirklich dazugehört habe. Und ich frage mich, ob sich das vielleicht die meisten fragen. „Wie fühlst du dich jetzt als Akademikerin“ fragt sie. Ich zucke mit den Schultern und gucke leicht an ihr vorbei an einen Tisch mit zwei Kerlen die immer mal wieder rüber schauen. Wieso auch nicht, sie ist unglaublich hübsch. „Ich weiß nicht, das ist als würde dich jemand an deinem Geburtstag fragen wie es ist 25 zu sein.“ „Stimmt, ich habe das Gefühl ich weiß nichts. Der einzige Unterschied ist, dass wir jetzt einen Titel zur Unwissenheit haben“ sagt sie. Ich hebe mein Glas erneut und sage: „Auf die Bildung“. Sie grinst, atmet schwer aus, lehnt sich zurück. „Ich beneide dich, du hast es doch gut, in ein paar Wochen sitzt du schon im Flugzeug zum anderen Ende der Welt“. Sie beneidet oft andere. Sie, die wunderhübsche Frau, die vor einigen Monaten auf Hawaii ihren Architekten heiratete mit dem sie schon länger in einem großen Haus wohnte und die ihre Jugend bis aufs Letzte ausgenutzt hatte, beneidete mich untentwegt. War unentwegt betrübt.

 

Ich sehe, dass sie sich eine Träne wegwischt und drohe ihr sie solle aufhören, da ich noch mehr Sentimentalität nicht ertragen würde. Wir lachen und dann lehne auch ich mich zurück, seufze und antworte: „Du hast ja keine Ahnung wie mir der Arsch auf Grundeis geht- was habe ich mir dabei gedacht meine Träume verwirklichen zu wollen? Ich bin ein viel zu großer Schisser.“ „Ach das wird eine super Zeit-wart’s ab.“ Ja. Das sagt mir jeder. Eine super Zeit. Alles was ich in meinem Kopf höre ist eine Stimme die immer wiederholt „Oh mein Gott“.

 

Die Zeit ist abgelaufen. Und ich bin planlos. Das erste Mal im Leben weiß ich nicht was ich will und steuere kein Ziel an. Ich gebe es zu: Ich fürchte mich. Aber ein bisschen schön ist dieses Fürchten dann doch

 

 

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